PARTEILOS

für Stolberg.

BÜRGERNAH

mit dir.

SOZIAL

für alle.

Menschenwürdigere Unterbringung in der „Interimslösung II“ am Kelmesberg

6. August 2023 Anträge

Hiermit beantragen wir, Haupt- und Finanzausschuss und Rat der Kupferstadt Stolberg mögen beschließen, die Stadtverwaltung damit zu beauftragen, die Planungen der Interimslösung II zu überarbeiten um eine menschenwürdigere Unterbringung für den langen Zeitraum bis zur Eröffnung des Neubaus zu ermöglichen.

Begründung:

Teil der „Interimslösung II“ ist nach aktuellem Kenntnisstand die Unterbringung der Wohnungslosen in „Einzelzimmern“ und „Doppelzimmern“.

Bei einer von unserer Fraktion durchgeführten Vermessung einer Unterbringung in einem sogenannten „Einzelzimmer“ wurden die folgenden Werte ermittelt:

Die Zimmergröße der überlassenen Wohneinheiten (Einzelbelegung) beträgt nach meiner Messung:

2,88m x 2,20m = 6,33m² einer solchen Wohneinheit

Die Verwaltung geht in einer Stellungnahme zum Sachverhalt gegenüber der Städteregion von rund 7 Quadratmetern pro Einzelbewohner aus. Dies ist eine falsche Darstellung, da sowohl mathematisch als auch rechtlich bei Wohnraum auf den ganzen Quadratmeter in diesem Fall ABZURUNDEN und nicht aufzurunden ist. Somit sprechen wir in unserem Antrag von rund 6 Quadratmetern. Bei der gemeinsamen Unterbringung spricht die Verwaltung sogar von rund 14 Quadratmetern. Die Innenfläche eines solchen Wohncontainers beträgt aber unserer Ansicht nach eher (2 x 6,33) + Trennwand = Maximal 13 Quadratmeter. Wir gehen eher von weniger aus.

Zur Unterbringung von wohnungslosen Menschen gibt es inzwischen eine Ausarbeitung des „Instituts für Menschenrechte“ in dieser wird auch auf Mindeststandards mit dazugehörigen Rechtstexten und Beispielurteilen verwiesen.

Was ist das Institut für Menschenrechte?

„Das Deutsche Institut für Menschenrechte ist die unabhängige Nationale Menschenrechtsinstitution Deutschlands (§ 1 DIMR-Gesetz). Es ist gemäß den Pariser Prinzipien der Vereinten Nationen akkreditiert (A-Status). Zu den Aufgaben des Instituts gehören Politikberatung, Menschenrechtsbildung, Information und Dokumentation, anwendungsorientierte Forschung zu menschenrechtlichen Themen sowie die Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen. Es wird vom Deutschen Bundestag finanziert. […]“, heißt es auf deren Website.

Welchen Informationen gibt das Institut in seiner Veröffentlichung heraus, die uns zu diesem Antrag bewegt haben?

In der Ausarbeitung namens „Notunterkünfte für Wohnungslose menschenrechtskonform gestalten – Leitlinien für Mindeststandards in der ordnungsrechtlichen Unterbringung“ von Dr. Claudia Engelmann werden verschieden Aspekte für die Unterbringung von Wohnungslosen zusammengefasst. Unsere Fraktion ist der Ansicht, dass wir diese Ansprüche auch mindestens erfüllen sollten.

Darin heißt es zum Beispiel im Abschnitt 3.2.2 Bisherige Mindestanforderungen durch Rechtsprechung wörtlich:

„(2) Auch zur Größe der Unterkunft gibt es eine gefestigte Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte: Einer Einzelperson sollte eine Wohnfläche von etwa 10 Quadratmeter zur Verfügung stehen. Gemäß allgemeiner Bauvorschriften über Wohnflächenberechnung dürfen Flächen zur gemeinschaftlichen Nutzung (Flur, Treppen, sanitäre Anlagen) auf diese Mindestgröße nicht angerechnet werden. Dabei besteht nach herrschender Rechtsprechung kein Anspruch auf Einzelunterbringung, eine Einweisung in Gemeinschaftsunterkünfte ist zumutbar. Das gilt nach Entscheidung einzelner Verwaltungsgerichte selbst dann, wenn Betroffene einer Erwerbstätigkeit nachgehen. In Ausnahmefällen kann ein Anspruch auf Unterbringung im Einzelzimmer bestehen, etwa wenn besondere Umstände wie Alter, körperliche und psychische Erkrankungen oder Pflegebedürftigkeit vorliegen.“

Sicher wird es aus der Vergangenheit auch andere Rechtseinschätzungen geben. Wenn es um Menschenrechte geht, sollten wir uns als Stadtrat mit unserer moralischen Pflicht gegenüber ALLEN Stolbergern aber am oberen, statt am unteren Ende orientieren.

Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW gibt folgende Standards in einer aktuellen Empfehlung heraus:

„Im Hinblick auf die Größe der Unterkunft und die Mindestgröße des Raumes, der einer Einzelperson bzw. einer untergebrachten Familie zur Verfügung stehen sollte, gilt nach der Rechtsprechung als „Faustregel“ für die absehbar längerfristige Unterbringung von Einzelpersonen, dass mindestens eine Wohnfläche von 10 qm zur Verfügung stehen sollte.“

Quelle: Empfehlungen des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen zur Ausgestaltung der ordnungsrechtlichen Unterbringung von obdachlosen Menschen.

Auch die Doppelbelegung von Zimmern ist in meinen Augen kritisch im Bezug auf eine potenzielle Überbelegung anzusehen, da die Untergrenze bei Wohnraum nach ehemaliger Rechtsprechung bei 9 Quadratmetern pro erwachsener Person lag:

Auszug aus dem Wohnungsaufsichtsgesetz (WAG NRW) vom 10.04.2014

§ 9 Überbelegung

(1) Wohnraum darf nur überlassen oder benutzt werden, wenn für jede Bewohnerin oder jeden Bewohner eine Wohnfläche von mindestens 9 m², für jedes Kind bis sechs Jahren eine Wohnfläche von mindestens 6 m² vorhanden ist. Die Wohnfläche ist entsprechend der Wohnflächenverordnung vom 25. November 2003 (BGBl. I S. 2346) in der jeweils geltenden Fassung zu berechnen.

Die Neufassung des WAG NRW, die nach ihrem Auslaufen eingeführt wurde, würde auch gegen die aktuellen Planungen mindestens im Bezug auf Einzelzimmer sprechen:

Das neu eingeführte Gesetz zur Stärkung des Wohnungswesens in Nordrhein-Westfalen (Wohnraumstärkungsgesetz – WohnStG) definiert beispielsweise auch Standards zur „Belegung“ von Wohnraum:

§ 10 Belegung

(2) Einzelne Wohnräume dürfen nur überlassen oder benutzt werden, wenn für jede Person eine Wohnfläche von mindestens 8 Quadratmetern vorhanden ist und Nebenräume zur Mitbenutzung zur Verfügung stehen. Stehen Nebenräume nicht ausreichend zur Verfügung, muss für jede Person eine Wohnfläche von mindestens 10 Quadratmetern vorhanden sein.

Auch hier würden wir unter den Mindestanforderungen liegen.

Man stelle sich einmal vor, Sie oder ich, würden mehr als 1 Jahr auf rund 6 Quadratmetern leben müssen. Ohne eine psychische Beeinträchtigung oder Alkoholkrankheit wäre dies bereits eine enorme Belastung für einen gesunden Menschen. Mit Erkrankungen und psychischen Beeinträchtigungen ist das Leiden in einer solchen Situation noch größer.

Auch andere Kommunen und Länder haben sich bei der Unterbringung von Menschen im zur Verfügung gestellten Wohnraum bereits Gedanken gemacht. In Niedersachsen beispielsweise gibt es klare Vorgaben für die Unterbringung von Flüchtlingen, um die Menschenrechte zu wahren und in dieser Personengruppe Obdachlosigkeit zu verhindern. Auch hier wird die Faustformel von 10 Quadratmetern bei einem Angebot von Wohnraum als Bemessungsgrenze herangezogen.

Die Unterbringungsstandards sind dort für Unterkunftslösungen (längerfristig) außerhalb von provisorischen Notunterkünften (nur kurzzeitige gemeinschaftliche Unterbringung wie z.B. Turnhalle mit Betten) so definiert:
2 Unterbringungsstandards

2.5 Der einer Person zur Verfügung stehende individuelle Wohnraum darf grundsätzlich eine Größe von 10 qm nicht unterschreiten.

Weitere Problematische Aspekte der bisherigen Planung möchten wir Ihnen hier einmal auflisten:

  • Die Wege zu Sanitäranlagen oder anderen Teilen der Wohnlösung sind bei Witterungseinflüssen wie Regen oder
    Schnee nicht zu erreichen. Man muss sein Zimmer auch nachts und bei Regen verlassen um die Toilette aufzusuchen.
  • Die Anlage in ihrer bisherigen Form wird riesige Folgekosten zur Folge haben. Die Wände der Container wurden bereits durchbohrt, um den nicht in der Planung enthaltenen Zugang zu Medien wie einem Fernseher mit Hilfe einer Sat-Schüssel zu ermöglichen. Türen samt Türrahmen wurden aus den Containern rausgetreten was weitere schwere Schäden an den anscheinend nicht ausreichend stabilen Containern verursacht. Eine alternative Erreichbarkeit durch zum Beispiel freies W-Lan war bislang NICHT vorhanden. Die Container gehören nach meinem Kenntnisstand NICHT der Stadt Stolberg, weshalb alle Schäden an diesen ersetzt werden müssen. Vermutlich wäre ein Kauf der Container von vorne rein günstiger gewesen.
  • Die Sanitäranlagen sind nach der bisherigen gemeinschaftlichen Nutzung NICHT MEHR ausreichend nutzbar. Zeitweise sind nur noch zwei der vorhandenen Duschmöglichkeiten in Betrieb. Die Heizungen in allen Sanitäranlagen sind zeitweise nicht funktionstüchtig.
  • Die psychischen Folgeschäden durch die Unterbringung auf einem so beengten Raum, sind in unseren Augen schon nicht zumutbar für gesunde Menschen aber erst recht nicht für gesundheitlich und psychisch vorbelastete Menschen
  • Vor Ort teilte man uns mit, dass selbst Mitarbeiter des mit der Umsetzung beauftragten Unternehmens
  • von einer „sehr kostengünstigen“ Umsetzung der Wohnmöglichkeiten spricht, was unter den allgemeinen
  • Standards einer solchen temporären Wohnanlage liege.
  • Weibliche Bewohner haben so große Angst in der Nacht ungeschützt die Sanitäranlagen aufzusuchen, dass sie ihr Geschäft in Behältnissen verrichten und diese erst am folgenden Morgen aus ihrem Zimmer zu den Sanitäranlagen bringen
  • Mehrere Bewohner haben laut Gesprächen vor Ort bereits ihren Arbeitsplatz durch die hellhörige Containeranlage verloren. Schlaf ist selten ungestört möglich
  • Diebstahl ist an der Tagesordnung. Die gemeinsam genutzte Küche kann nur genutzt werden, wenn man sein Essen dauerhaft im Auge behält, ansonsten werde Essen gestohlen

Ungeachtet der rechtlichen Zulässigkeit, sollten wir uns den rein moralischen Werten bewusst sein, wenn wir Menschen keine andere Möglichkeit lassen, als auf rund 6 Quadratmetern zu wohnen.

Die Bewohner würden bei geplanter Fertigstellung Ende 2025 insgesamt 2 bzw. mit vorheriger „Interimslösung I“ insgesamt 3 Jahre in einer solchen Einzelunterbringung auf engstem Raum leben müssen. Der Regelfall ist ein mehrjähriger Aufenthalt am Kelmesberg weshalb wir davon ausgehen müssen, dass die wenigsten nur kurzfristig dort wohnen werden.

Wir appellieren an ihre moralischen Vorstellungen zur Menschenwürde und hoffen auf eine sozial-gerechte Entscheidung des Stadtrates zum Wohle der betroffenen Stolberger Bürger